"Rust Never Sleeps" - über Martin Lühker

Im Jahr 1996 beginnt Martin Lühker mit der Serie PATINA. Er präpariert Leinwände mit Eisen-(III)-chlorid, das er zum Ätzen von Radierplatten verwendet hat. Auf die Leinwände kommen Kupferplatten und sie werden dem Wetter ausgesetzt. "Warhol hat zusätzlich noch drauf gepinkelt.", erklärt der Künstler in Anspielung auf Andy Warhols Serie "Oxidation" von 1978.

Die chemische Reaktion liefert nicht vorsehbare Ergebnisse, die er mit "Rust Never Sleeps", dem Titel eines Albums von Neil Young kommentiert.


Eisenchlorid über Fotografie

Es mag hier noch ein Zufall sein, aber Martin Lühker wird in den kommenden Jahren immer mehr "malen lassen": Durch chemische Reaktionen, durch Abdrücke oder durch die Natur z.B. indem er Pflanzen direkt in seine Arbeiten integriert.

"Zeichne das doch selbst. Jeder kann das lernen." Sein Handwerk wird ihm zum Fluch, denn aus seiner Sicht bleibt es schlicht ein Handwerk. Wahrhaftige Kunst will ihm nicht gelingen.

Seine Schutzzone und sein Echoraum wird die Stadt Buchholz. Er mietet einen Klassenraum der ehemaligen Schule in Seppensen als Atelier und stellt schnell fest: "Ich brauche keine weitere Ausstellung. Mich kennt hier doch jeder."

Mit "jeder" sind nach Gerhard Kegel [1] etwa 1% der Bevölkerung gemeint, die "ernsthaft an E-Kunst interessiert sind, seien es Hervorbringungen musikalischer, poetischer oder solche bildender Art." Für die Stadt Buchholz errechnet er daraus eine Zahl von ca. 300 Kunstliebhabern. "In der Tat eine Quantité négliable, eine von jedem Herausgeber eines Anzeigenblattes zu Recht übersehene Minderheit."

An Martin Lühker sind zu dieser Zeit vielleicht noch 100 Besucher bei einer Einzelausstellung interessiert. Der Grund dafür ist nicht das Nordheide Wochenblatt, sondern der Umstand, dass es zu viele Künstler:innen und zu wenig gute Kunst gibt. Kuratieren gilt als überflüssiger Luxus. Kunst aussuchen und bewerten, das soll doch bitte die Presse erledigen.

Und es ist Martin Lühker selbst, der die Zahl der Interessierten stetig verringert. Aus seinem Alkohol-Konsum macht er keinen Hehl mehr: "Wieso, [Horst] Janssen hat auch gesoffen." und so stößt er Interessierte immer wieder mit voller Wucht vor den Kopf.
 

Dazu ein Text von Bettina Ulitzka beim Betrachten einer Arbeit zum Kinderkönig:

Und das Spielzeug: Martin – Kind Martin
Geprägt von der Weigerung den vermeintlichen „Ernst des Lebens“ zu akzeptieren.
„Ich bin Martin, ich bin Alkoholiker“ das wäre ihm nie über die Lippen gekommen.
Ich sehe grad ein Bild vor mir, von jungen Katzen oder Hunden, die sich neugierig auf Igel oder andre Kleintiere/Dinge zubewegen und dann eins auf die Nase kriegen, auch immer wieder…
Martin wollte immer wieder auf Piste gehen um sich eins abzuholen. Direkt reinlaufen und sich den Haken abholen oder die zerbrochene Brille.
How fragile we are“ von Sting, das wollte Martin nicht wahrhaben. Er wollte einfach spielen, alle Blessuren mitnehmend und riskierend, auch austeilend. Gab es eigentlich irgendeinen „Heiligen Bezirk“ für ihn, wo es keine Blessuren geben sollte?
Der Kinderkönig hat sein Spielzeug schlecht behandelt (auf nem Haufen).
Martin behandelte werte Dinge und werte Menschen gern schlecht oder verschlingend und verschleudernd,- dafür hatte er ein nie endendes Interesse an ihnen …
 
(#270)

 
Einzelnachweise
  1. "Kunst in Buchholz in der Nordheide", GMV Buchholz, 1997

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