"selbst" von Hans-Jörg Bengel

Hans-Jörg Bengel (1943-2012) ändert 1986 sein Leben radikal. Die Diagnose Parkinson führt dazu, dass er seinen Beruf aufgibt und von nun an ausschließlich seiner Berufung folgen wird. Er studiert seine meist klassisch arbeitenden Vorbilder und erarbeitet sich in unzähligen Studien ihre Techniken. Mit der Unterstützung seiner Frau Eleonore wird er in den folgenden Jahren den fortschreitenden Mangel an Bewegungskoordination und den damit verbundenen Unfällen - zumindest öffentlich -  mit seinem unverwechselbaren Humor begegnen und gleichzeitig höchst fragile, poetische und sehr individuelle Arbeiten schaffen. Die Skulptur "selbst" (bereits unter dem positiven Einfluss von Hirnstimulation) aus dem Jahr 2007 ist so eine Arbeit.
 

 
"selbst", 2007 (#014)
Stahl, Gehstock, Draht, Bast, Höhe 60 cm
Monogrammiert und betitelt auf dem Fuß
Parkinson
Bengel macht seine Krankheit erstmals zum Jahreswechsel 1999/2000 offiziell in einem Rundbrief öffentlich:
 
Jahrtausendwende - Kein Wort zum Sonntag ohne Pathos
Vielleicht ein wenig Sinnkrise
Homer blind, Van Gogh arm, Beethoven taub
Schafft Vollkommenes nur wer den Stachel spürt?

Bruder P., mein ständiger Begleiter, der mich schon seit 14 Jahren plagt, hat seine Spuren hinterlassen, läßt sich nicht mehr ignorieren. Die Krankheit ist sichtbar geworden. Sie nervt mich und doch ... Sie hat meine künstlerische Entwicklung wesentlich beeinflußt. Ziellos umherirrend habe ich mich erst nach ihrem Auftreten der Bildhauerei verschrieben, meinen Stil, meine Themen, mein Material gefunden. Die Krankheit soll auch weiterhin nicht euren Blick trüben bei der Beurteilung meiner Arbeiten. Sie sollen auch in Zukunft von euch mitleidslos kritisiert, verrissen oder vielleicht auch geschätzt werden.
Lächelnd die Zähne zusammenbeißend werde ich weitermachen.

"Nebenwirkungen"
Hans-Jörg Bengel schont weder sich, noch seinen Körper. Ob beim Umgang mit schwerem Werkzeug oder beim Ätzen von Radierplatten, immer wieder kommt es zu teilweise schweren Unfällen. Nach einer Verletzung der rechten Schulter kann er jahrelang die rechte Hand nicht benutzen. Er "schult um" und so entstehen seine "linken Bilder".
 
 

regelmäßige Übungen für die rechte Hand
(aus Skizzenbuch)

"Die Last gemeinsam tragen" aus Skizzenbuch
Eleonore
Sie sind einander "die Liebe ihres Lebens" und vielleicht müssen sie das gerade deshalb nicht ständig öffentlich unter Beweis stellen. Und Eleonore ist keineswegs nur Muse, sie ist die Macherin, frei nach dem Motto: "Wenn das Leben so sein soll, dann umarmen wir es erst recht!"
Hans-Jörg hätte hier wahrscheinlich ergänzt: "Und im Notfall kann sie mich ja auch abschalten." (Sie hatte das Programmiergerät für seinen Neurostimulator.)
 

Ela´s Auge, 1999 (#017)
Holzdruck

Ela´s Mund, 1999 (#018)
Holzdruck

Ela´s Rücken, 1998/99 (#040)
Künstlerbuch
Gattopardo
Bereits 1993 hatten Bengels ihr Haus in Otter (12 km von Buchholz entfernt vgl. Buchholzer Künstler) getauscht und für ein Jahr in Australien gelebt.
 

Down under, 1993 (#019)
Holzdruck und australischer Sand auf Papier, 24 x 64 cm
 

aus Skizzenbuch
 
2000 sollte es für ein Jahr nach Italien gehen. Am Ende wurde Syrakus Ihre neue Wahlheimat. Hier entsteht die Figur des Gattopardo, Hans-Jörgs Bengels alter Ego, ...

 ... den Wolfgang Schröder so beschrieb:

Das Leben hat aus Dir einen Künstler gemacht, einen Lebenskünstler, einen Überlebenskünstler und schließlich einen Leoparden. Als Gattopardo bist Du spielerisch leicht über die Dächer Ortigias getanzt. Bist mit den anderen Gattopardi um die Häuser gezogen. Hast weder das andere Geschlecht noch geistige Getränke verschmäht. Und hast dich als „Leopardo da Siracusa“ feiern lassen. Für uns hast Du dieses (Lotter-) Leben dokumentiert. Und wir? Wir staunen!

 

Gattopardo nach dem Erwachen, 2004
Skizzenbücher
Hans-Jörg Bengel hat ca. 50 Skizzenbücher hinterlassen, die eindrucksvoll zeigen wie ernst ihm seine Berufung war. Die Idee eines "Ausstiegs" beschäftigte ihn schon früh, wie der erste [!] Eintrag in sein Notizbuch aus dem Jahr 1976 beweist:


"Das Wagnis", 14.2.1976
 
Der Ingenieur Bengel ("graue Häuser") nähert sich der Kunst wie einem Handwerk und studiert und trainiert zunächst traditionelle Techniken.


"Strandgut V", 1981

"Strandgut IV", 1981
 
Die Skizzen-Bücher - die zwischenzeitlich auch zu Tage- und Notizbüchern werden - sind nicht nur Zeugnisse einer unerschütterlich disziplinierten Arbeitsweise, sie geben auch tiefe Einblicke in die Gedankenwelt des Künstlers.
 

"Sommerphantasien"

"Kopfgeburten"

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